Im Gespräch mit PD Dr. Christoph Ramseier „Parodontologie – State of the art“
Personalisierte parodontale Betreuung im Zeichen von KI oder ChatGPT und Co.
Am 02.03.2024 fand in München im Seminarzentrum der eazf die Fortbildung unter dem Motto „Im Gespräch mit ...“ statt. Es handelte sich um die zweite Veranstaltung des neu entwickelten Formats des Vereins Zukunft Prophylaxe e.V. . Ziel des neuen Formats ist es, ein Thema an einem Tag in der erforderlichen Tiefe von einem anerkannten Schwergewicht seiner Disziplin umfassend zu beleuchten.
PD Dr. Ramseier fesselte das Auditorium von der ersten bis zur letzten Minute und zog es vollends in seinen Bann. Er verstand es zudem mit kleinen Quizeinlagen, deren Inhalte man sich von der Leinwand mittels QR Code herunterladen konnte, die Aufmerksamkeit der Teilnehmer immer wieder zu fesseln.
Nach einer kurzen Begrüßungsrede durch den Vorsitzenden Dr. Friedrich W. Grelle, in der besonders die Pionierarbeit der Schweizer Parodontologen gewürdigt wurde, folgte ein historischer Abriss der Entwicklung der Informationsübertragung von den Höhlenmalereien der Steinzeit über die Entwicklung der Schrift und der Buchdruckkunst bis zur Digitalisierung und Blockchain-Technologie.
Auch das Thema Datenschutz kam nicht zu kurz, denn heutzutage könnte die Bank oder das Kreditkartenunternehmen in vielen Fällen detailliertere Auskunft über die Lebensweise des Einzelnen und somit über die nationale Gesundheit geben, weil jede Zahlung, jedes Produkt, jeder Aufenthalt registriert wird, als penibel geschützte Gesundheitsdatensystem!
Seit 1958 spricht man von personalisierter Medizin. Die Entschlüsselung des menschlichen Genoms brachte dazu den entscheidenden Durchbruch.
Für die personifizierte Betreuung der PA Patienten in Prävention, Diagnose und Behandlung spielt das Wissen um Genetik, Umweltbedingungen und Lebensstil die entscheidende Rolle.
In der Schweiz sprechen die Behörden sogar vom Begriff der strukturellen Prävention: mehr Bäume und Grün, mehr Fahrradwege, mehr Treppen statt Lifte und Rolltreppen! Aber so etwas geht nur sehr langsam voran! Die bekannten negativen Faktoren wie Rauchen, Übergewicht, mangelnde Bewegung, fehlerhafte Ernährung addieren oder multiplizieren sich nicht etwa in ihrer Risikobewertung, sondern POTENZIEREN sich!
Die KI kann große Dienste bei der Auswertung und Bewertung dieser Datenmassen und der Gewichtung der verschiedenen klinischen Parameter leisten.
Von entscheidender Wichtigkeit zur Beurteilung der Stabilität der oralen Gesundheit nach erfolgter PA Behandlung ist „ bleeding on probing“, also der BOP Wert. Dabei ist die bekannte Regel von Prof. Lang (Bern) zu beachten: Probing to the periodontal bottom. Der BOP- Wert und die Zahl der Resttaschen sollten immer in Prozenten zum Restzahnbestand angegeben werden. Raucher haben einen geringeren BOP aber vermehrte Resttaschen. Der BOP beim Raucher liegt bei etwa 16%, beim Nichtraucher bei ca. 20%.
Unter Resttaschen versteht Dr. Ramseier Taschentiefen von mehr als 4 mm 3-6 Monate nach erfolgter Parodontaltherapie. Nach Berner Studien kann in einer Mundhöhle bei weniger als 20% Resttaschen mit weniger als 6mm Taschentiefen der Zahnverlust durch einen festgelegten Recall ca. 10 Jahre lang vermieden werden. Bei mehr als 20% Resttaschen läuft die Stabilität in der Mundhöhle aus dem Ruder.
Die KI sollte den notwendigen Abstand zwischen den UPT`s festlegen, losgelöst von dem im kassenzahnärztlichen Parodontalstatus bezuschussten Intervall. Belegt mit eindrucksvollen Studien konnte der Referent ein „viel hilft viel“ belegen. Patienten, die von sich aus kürzeren Intervallen im Recall wählten, wurden nicht nur durch Stabilität, sondern sogar durch Reduzierung der Taschentiefen belohnt! Rauchen ist grundsätzlich schlecht für die parodontale Gesundheit, aber ein engmaschiger Recall ist auch hier von großem Nutzen. Erst ca. 10 Jahre nach der Entwöhnung schließt der Raucher in der Risikoeinschätzung mit dem Nichtraucher auf! Ein besonderes Augenmerk richtet Dr. Ramseier jedes Mal der Raucherentwöhnung. Der Umstieg auf „Ersatzdrogen“ ist dabei keine Option!
Allerdings kann auch hier die KI Hilfestellung gewähren. Die Anfänge der künstlichen Intelligenz sieht man bei Alan Turing und der Entschlüsselung der Chiffriermaschine Enigma in den 40er Jahren. In der Parodontologie kann die KI in der Diagnosen Stellung, bei der Aufstellung des Behandlungsplanes, der Terminplanung und beim Management von Risikofaktoren eingesetzt werden. Die Grundlagen des Algorithmus sind Eindeutigkeit, Terminierung, Ausführbarkeit, Determinierbarkeit und Determinismus.
Auf eine Frage erhält man immer eine Antwort. Stellt man nach ca. 30 Minuten dieselbe Frage nochmals wird man allerdings wohl eine andere Antwort erhalten.
Die Maschine ist immer bestrebt, nur den kleinsten möglichen Fehler zu machen.
Eine Weiterentwicklung der KI ist Chat GPT von Open AI. GPT steht für Generativ Pretrained Transformer. Chat GPT in seiner aktuellen Version ist gefüttert mit 175000000000 Wissenseinheiten. Der User tritt in einen Chat, eine Konversation, mit der künstlichen Intelligenz. Mit der Verwendung von Chat GPT wird es schwierig selbständig generiertes Wissen von künstlichem zu Unterscheiden. Dies erschwert besonders die Beurteilung von z.B. Masterarbeiten an den Hochschulen.
Dr. Ramseier ist deshalb dazu übergegangen, die mündlichen Prüfungen stärker zu gewichten. So ist es seiner Auffassung möglich besser zu überprüfen, ob der Text selbst erarbeitet wurde, die relevante Information enthält und die wissenschaftlich aktuellen Schlussfolgerungen gezogen werden können.
ChatGPT ist hervorragend einsetzbar für Bewerbungen und für Patientenbriefe. Diese Art künstlicher Intelligenz ist aber auch in der Lage aus komplexen Wissensinhalten Lernvorlagen zu liefern, die die Studierenden sich selbst erstellen können. Anleitungen dazu werden in Vorlesungen oder Arbeitsgruppen erteilt.
Das Schlusswort hatte Sam Altman von Open AI: Generativ KI ist ein mächtiges Werkzeug für Kreativität und Innovation, aber wir müssen sicherstellen, dass sie ethisch und verantwortungsvoll eingesetzt wird.
Die kürzlich verabschiedeten EU Verordnung für den Einsatz von KI leisten dabei Pionierarbeit. Sie zählt darauf ab, Innovationen zu fördern, gleichzeitig das Vertrauen in KI zu stärken und sicher zu stellen, dass diese Technologie in. Einer Weise genutzt wird, die die Grundrechte und die Sicherheit der Bürger und Bürgerinnen der EU respektiert.
Beladen mit umfangreichen Anregungen und neuem Wissen verließen gegen 16.00 die Teilnehmer die Veranstaltung in der Vorfreude auf den Workshop in Beilngries am 15./16.11.2024